Interview mit einem Chaosmagier
F: Kann es eine Magie geben, die sich mit dem Status Quo der Gesellschaft nicht abfindet und ihn zu verändern trachtet (etwas wie es Stephen Mace vorschlägt)?
A: Ich denke, dass sich jeder, der in der modernen Welt unpolitisch lebt und sich mit dem Status Quo der Gesellschaft einfach zufrieden gibt sehr unverantwortlich und dumm verhält. Deshalb liegt es für mich auf der Hand, dass es einem Magier gut zu Gesicht steht, seine Kräfte auch in diese Richtung zu lenken.
F: Hat magisches Denken und Tun in dieser Welt der ausufernden Massenunkultur noch eine Zukunft? Verbindest Du etwas mit dem Gedanken eines Neuen Äons?
A: Magie war nie etwas für die Masse und ich denke, sie wird es – falls überhaupt – noch lange nicht sein. Magisches Denken und Tun hingegen wird immer sinnvoll sein. Vielleicht sagen wir einmal nicht mehr „Magie“ dazu, sondern es gibt verschiedene wissenschaftliche Fachausdrücke für unser Tun. Wir streben alle danach keine Getriebenen mehr zu sein, das Schicksal selbst zu bestimmen. Magisches Denken und Tun funktioniert nur, wenn wir es von unserem übrigen Sein nicht abkoppeln. Freizeitmagier können sich vielleicht einmal eine schwarze Kutte umhängen und mächtig die Sau rauslassen, werden aber nicht sehr weit fortschreiten. Wer aber den magischen Weg tatsächlich verfolgt, der wirkt auch im täglichen Leben. Geschäftsbeziehungen, Freundschaften, 2er-Beziehungen, Überzeugungen, Skripte und Paradigmen werden in Frage gestellt, überprüft, neu definiert….das gehört auch zur Politik. Magier ist man 24h am Tag. Es wird experimentiert und – wenn auch manchmal etwas chaotisch – evaluiert. Pionierarbeit auf der Schwelle zum neuen Aeon .
F: Der Chaos- oder pragmatischen Magie wird immer wieder nachgesagt (oder vorgeworfen), dass sie rein zweckgebunden und ohne jeden spirituellen oder ethischen Hintergrund arbeitet. Kannst Du dazu etwas sagen?
A: (grinst) … und, wo ist das Problem? Wir stehen dazu, denn das macht die Arbeit wesentlich einfacher für uns. Das soll nicht heißen, dass wir keine Ethik oder Spiritualität kennen. Jeder Einzelne von uns hat sehr wohl seine ganz persönliche Moral, Ethik und Spiritualität. Wenn zum Beispiel bei einem internationalen Treffen ein Ritual vorgeschlagen wird, hat jeder die Möglichkeit frei zu entscheiden, ob er teilnehmen will oder nicht. Wer mit dem Thema, Aufbau, oder aber mit dem ethischen, moralischen oder spirituellen Hintergrund nicht konform geht, der spricht sich einfach dagegen aus und nimmt nicht teil. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit der Annahme, dass wir keinen spirituellen, ethischen, oder moralischen Background hätten. Es ist nur nicht immer derselbe und nicht immer für alle Mitglieder.
Unser Ansatz ist vielleicht am Besten mit diesem Satz erklärt:
„Der Chaosmagier benutzt Paradigmen und Glaubenssätze wie ein Chirurg sein Besteck.“
F: Ihr betrachtet das Chaos als etwas Schöpferisches. Im Gegensatz dazu empfinden viele Menschen starke Ängste beim Verlust von Kontrolle und Sicherheiten. Wie geht Ihr mit Ängsten um?
A: Es ging nie um den Verlust der Kontrolle um Chaos als Verwirrung zu erleben.
Da stehen wir jetzt am Anfang eines langen Gesprächs über Chaos, das glaube ich den Rahmen dieses Interviews sprengt.
Aber zum Thema Angst:
Lehne dich zurück, schließe die Augen, atme tief durch, entspanne dich und …….bitte denk jetzt eine Minute nicht an einen Affen………..na? …. Affenhorden ziehen vorbei! Das klappt nicht.
Genauso ist es mit Ängsten. Sich einzureden man hätte keine, funktioniert nicht. Klar, man kann sich ablenken und viele andere Flucht- und Vermeidungsstrategien bis zur Perfektion entwickeln.
Oder, man stellt sich seinen Emotionen, geht bewusst hinein, erlebt sie. Illuminaten von Thanateros (Thanatos/Tod, Eros/Erotik,Sex) Bei uns steht ja schon der Name für die Arbeit mit Gegensätzen. So bearbeiten wir beispielsweise Emotionen oft paarweise, (Liebe-Hass, Freude-Leid,…). Durch die Erfahrung der Gegensätze ergibt sich eine neue Möglichkeit des Umgangs mit ihnen.
Das erklärt sich am Besten mit einem Bild.
Jeder kennt dieses schwarze Loch von Depression oder Angst in das man fallen kann. Fällt man erst einmal, gibt es nur zwei Alternativen. Die erste, die wir normalerweise verfolgen ist der verzweifelte Versuch irgendwo Halt zu finden, den Sturz zu bremsen und dann unter Aufbieten aller Kraft langsam wieder empor zu klettern.
Die andere Alternative ist sich fallen zu lassen. Fallen lassen mit „geöffneten Augen“, den Sturz zu erleben und auch den Schrecken zu sehen. Fällt man mit „offenen Augen“, kann man sich ohne am Boden des Strudels zu verschwinden oder zu zerschellen, leicht wieder hochkatapultieren. Oft gelangt man dann sogar weiter hinaus, als man denkt. Ich will damit nicht sagen, dass das Erlernen dieser Technik ermöglicht einen Sturz in die Angst in lustvolle Extase zu verwandeln. Unbestritten ist, dass sie dich nach und nach dazu ermächtigt, viel besser mit den eigenen Emotionen umgehen zu können. Interessant dabei ist, dass dies nicht über den Faktor: „totale Kontrolle“ passiert, sondern durch ein Ausnützen der Dynamik von Emotionen, gepaart mit der Erkenntnis, dass die extremsten Extreme ganz schön nah beieinander liegen .