Interview mit einem Chaosmagier 1 – Handbuch der Chaosmagie

Frater .717. im Interview 1

Handbuch der Chaosmagie

Niederschrift eines Gesprächs  (2002)

F: Vorerst die Frage, die mich im Kontext mit deinem Buch am meisten interessiert:
Warum diese Neuauflage und Erweiterung deines Buchs „Handbuch der Chaosmagie“?

A: Das Handbuch der Chaosmagie entstand aus meiner persönlichen praktischen Arbeit. Ursprünglich habe ich nie daran gedacht ein Buch zu veröffentlichen. Erst als ich bemerkte, dass ich immer öfter Rituale und Anleitungen für Freunde und magische Bekannte niederschrieb und kopierte, kam mir die Idee des Buches. Die ersten Zeilen dieses Buches habe ich im Jahr 1986 niedergeschrieben. Immerhin ist das jetzt bereits 17 Jahre her. Im Laufe dieser Zeit hat sich eine Menge neues Material angesammelt.

F: Warum dann kein zweites Handbuch der Chaosmagie?

A: Das wollte ich ursprünglich. Dann habe ich jedoch erkannt, dass sich zwar manche meiner Ansichten und Einstellungen und zum Teil auch mein Zugang zur Magie geändert haben, dass aber im Großen und Ganzen ein Buch dabei herauskäme, dass mit anderen Worten und weiteren Ritualbeispielen die selbe Botschaft vermitteln würde. Das wär´ doch langweilig. Ich bin nicht daran interessiert jedes Ritual und jede Variation meiner persönlichen Arbeit zu veröffentlichen. Mir geht es nach wie vor darum zu zeigen, was man unter Chaosmagie verstehen kann und dass jeder seinen eigenen Zugang dazu finden kann. Deshalb kam ich letztendlich zum Schluss nur ein paar Seiten anzufügen.

F: Was ist dann mit dem ganzen Material das du gesammelt hast?

A: Es verbleibt mal in meinem privaten und im internen IOT- Archiv. Vielleicht veröffentliche ich ja auch noch mehr davon. Wenn, dann aber sicher kein zweites Handbuch, sondern ein Buch zu einem Spezialthema.

F: Du hast vorher von einem veränderten Zugang zur Magie gesprochen. Was hat sich denn verändert?

A: Magie ist nach wie vor dieselbe. Ritualkonzepte haben sich verändert. Lass mich ein Beispiel bringen. Vor 15 Jahren haben wir viele Rituale durchgeführt, die lediglich eine Art chaosmagische Betrachtung von ganz klassischen Ritualen war. Ich erinnere mich an Situationen wie:

Einer in der Mitte, hyperventilierend, invozierend,….. faszinierte Magier und Magierinnen, und solche die´s noch werden wollten im Kreis. Eine Person in der Mitte führte das Ritual durch, die Teilnehmer im Kreis durften bestenfalls ein Mantra summen, oder bewegte Dekoration darstellen. Das stimmt nicht in allen Fällen, aber viele der Rituale die wir durchführten, erdachten und adaptierten waren sehr stark an die klassische Rolle des Priesters/Priesterin in der Mitte – der die ganze Arbeit macht – gebunden. Pete Carrolls Rituale fielen schon vor vielen Jahren etwas aus dem Rahmen. Allerdings gab es damals auch noch nicht sehr viele Teilnehmer, die fähig waren wesentlich mehr zu tun, als eben nur im Kreis zu stehen und zu versuchen sich auf das Geschehen zu konzentrieren.

Versteh´mich nicht falsch! Nicht dass klassische Rituale, oder Ableitungen von selbigen uninteressant wären. Ich spreche nur davon, dass eine starke Tendenz zu einer neuen Art von Ritualen zu bemerken ist, und dass sich auch meine Rituale zusehends verändern.

F: Verstehe, aber wie sehen denn deine und eure Rituale heute aus?

A: Ich denke es gibt zwei Unterscheidungsmerkmale.
1) Heute lernen bereits junge Novizen im Pakt (Illuminaten von Thanateros) wie wichtig eine „runde“ Ritualkonzeption ist. Unter rund verstehe ich eine Konzeption, die wirklich alle Teilnehmer beschäftigt hält. Stehen zum Beispiel Teilnehmer längere Zeit im Kreis und haben nichts zu tun, ist die Chance relativ groß, dass der geistige Zensor plötzlich zu zweifeln beginnt, oder Alltagsgedanken die Konzentration stören. Mehr aktive Beteiligung erfordert natürlich mehr Wissen und persönlichen Einsatz der Teilnehmer. Die Anforderungen an den Einzelnen sind eindeutig gestiegen.

2) Jahrelang waren wir bemüht „klassische“ Rituale für uns zu adaptieren und vor allem zu vereinfachen. So haben wir uns darum bemüht allen unnötigen Zierrat abzuwerfen. Das führte uns oftmals zu sehr kurzen, einfachen und doch effizienten Ritualen.

Auf der anderen Seite gab es aber eine sehr interessante Gegenentwicklung. Aus simplen Ideen entstanden plötzlich komplexere. Jemand stellte ein Ritual, oder eine Ritualidee bei einem Treffen vor, ein anderer nahm diese Idee mit und entwickelte sie weiter. So wurden aus einfachen Ideen Rituale, mit denen in verschiedenen Ländern und Gruppen auf unterschiedlichste Weise gearbeitet und experimentiert wurde.

Ich denke dabei an die großartigen Chaotron-Arbeiten , oder an die Starfish-Arbeiten , die wirklich über Jahre hinweg von den verschiedensten Leuten bearbeitet und weiterentwickelt wurden.

Manchmal entstanden auch sehr komplexe Systeme, wie zum Beispiel Fra. K´s „Italienische Küche – und die Kunst Pizza zu backen“. Diese Rituale und Ritualreihen erscheinen für den Leser sicherlich zuerst genauso schwer durchführbar wie irgendein altes Ritual von Crowley. Als Arbeit in Tempeln und bei mehreren größeren Treffen sind diese Rituale allerdings genial. Man baut Stück für Stück auf und wächst in ein System, das viel eher unserer heutigen Symbolwelt und unseren heutigen, ganz persönlichen Vorstellungen entspricht, hinein.

F: Ich sehe da aber keinen Unterschied zur klassischen Situation. Wenn ich Franz Bardon, Crowley, oder Douval– Rituale durchführen möchte, muss ich auch mehr oder weniger das ganze System erlernen, um zu begreifen worum es tatsächlich geht?

A: Ja, das stimmt. Ich habe ja auch von einer gegenläufigen Entwicklung gesprochen. Heute existiert beides im Pakt. Auf der einen Seite sehr kurze, einfache und eigenständige Rituale und auf der anderen Seite komplexe Systeme und durchstrukturierte, aufeinander aufbauende Arbeiten. Diese verschiedenen Ritualreihen sind jedoch genauso eigenständig wie alle anderen im Pakt vorgestellten arbeiten,….und sie sind genauso wahr, oder unwahr – wie alle anderen.

Ich find´das toll!

F: Wie sieht´s mit den Techniken der Kampfmagie aus? Praktizierst du Riten wie den Tempelwächter, oder das Netz der Spinne?

Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass es bessere Möglichkeiten für mich gibt mich zu schützen oder zu wehren. Nicht dass diese Techniken nicht mehr effektiv wären, aber ich spreche davon, dass mit Feuer zurückzuschlagen meist sehr viel Energie kostet. Einen Schutzwall um sich aufzubauen und aufrecht zu erhalten ist mit viel Aufmerksamkeit und Konzentration verbunden. Hat man´s dann endlich geschafft findet man sich aber in gewisser Weise vom eigenen Schutzwall eingeschlossen wieder ….. blöde Sache das! Da ist es doch viel interessanter vielleicht Mal mit Wasser- oder Lufttechniken zu reagieren. Du machst damit jeden Angriff zäher, langsamer, unwirksam, oder du wirst durchlässig und bleibst unbeschadet von negativen Einflüssen. Schutz durch Spiegelmagie halte ich auch für eine grandiose Sache, doch ist die Frage ob es wirklich notwendig ist dafür gleich die schlimmsten Dämonen anzurufen. Es ist sicher wichtig sich mit seinen eigenen Dämonen zu befassen, (lacht) aber es müssen ja nicht immer die Dämonen der anderen sein.

Damals als ich das Buch geschrieben habe war´s anscheinend sehr wichtig, bzw. ein sehr kraftvoller Zugang für mich. Es gibt aber noch viel mehr Möglichkeiten. Die effizienteste ist sicher die, zu erkennen, dass ich nicht in jede mögliche Konfliktsituation laufen muss um ein großer Magier zu sein.

Befinde ich mich tatsächlich in einer Konfliktsituation, ist es wesentlich unberechenbar zu bleiben und immer mehr als eine Strategie zu kennen und zu beherrschen.

Der Meister des Schwertes weiß wann er es wegwirft, um zu siegen.

Juli 11th, 2009 von