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Ist es die Bequemlichkeit der Lehrer, dass Kinder in eine Norm, in eine Form gepresst werden? Angenommen, man vergleicht ein Kind mit einem Kuchenteig. Die Ältern sind die Bäcker. Aus ähnlichen Zutaten wird ein Rührteig hergestellt. Nun müssen diese Rührteige alle in eckige Napfkuchenformen gegossen werden. Wenn ein Kuchen zu sehr hochbackt und demzufolge über den Rand steigt, muss alles, was überläuft, weggeschnitten werden. Nur so wird garantiert, dass die formschönsten und exaktesten Napfkuchen am Ende gegessen werden. Ähnlich, wie halt bei Eiern oder Kartoffeln der Güteklasse A.

Nun stellt sich mir die Frage, wenn die Grundlagen stimmen (der Teig also), warum bitte kann man nicht einen Gugelhupf aus dem Teig machen? Einen schönen runden Napfkuchen mit Loch in der Mitte, locker, leicht, luftig? Die Zutaten sind dieselben. Die Form ist eine andere. Warum dürfen denn nicht auch Kinder, wenn die Grundlagen stimmen, sich völlig anders verhalten oder entwickeln, als dies die „Norm“ vorsieht (eckige Kuchenform)? Und wer bitte sagt denn, dass runde Kuchen nicht so lecker sind wie die eckigen? Das sind Fragen, die mich beschäftigen.

Mein Sohn

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Ich habe einen Sohn, der sehr vielseitig interessiert ist. Er ist seinem Alter, zurzeit 13, deutlich voraus. Er spielt z. B. Schach, interessiert sich für Geschichte und Edelsteine. Er mischt aber auch im Modellbau mit und bastelt im Modellbahnclub an den Zügen. Er kann ziemlich gut zeichnen (was seine Lehrerin, warum auch immer, anders sieht). Lukas befasst sich aber auch gern mit dem PC. In Technik/PC hat er immer eine Eins, Durchschnitt 1,0. Das beste Fach auf seinem Zeugnis ist Technik/PC. Er hat Farbverständnis und schaut sich Details an.

Lukas kann unheimlich viele Dinge gleichzeitig tun oder auch gleichzeitig wahrnehmen. Er hört Musik, spielt zwei bis drei PC-Spiele und macht dabei seine Hausaufgaben. Die Schulnoten zeigen, dass er sie nicht falsch gemacht haben kann. Lukas geht aber auch einen Gang entlang und bemerkt beiläufig, dass am Puzzle zwei Teile fehlen. Ich habe nicht mal das Puzzle gesehen und ich habe genau wie mein Sohn ADHS. Aber ich bin anders. Vielleicht auch durch die Erfahrung, durch das Alter. Ich konnte aber noch nie vier Dinge gleichzeitig machen. Jedenfalls nicht, wenn mehr als eine Sache Konzentration erfordert. Telefonieren und Schreiben beispielsweise gehen gar nicht zusammen. Auch Musik hören kann ich nicht beim Arbeiten, dafür aber beim Autofahren. Hier hält sie mich wach.

Wer legt eigentlich diese teilweise bescheuerten Normen fest? Wer sieht nicht das Positive in einem ADHS-Kind, sondern immer den Störenfried? Wer gibt den Eltern die „Schuld“ an dem „missratenen Kind“, ohne zu hinterfragen, was er Eltern und Kind damit antut? Wer maßt sich an, die Richtigkeit von Erziehung zu beurteilen? Wer erlernt schon den Beruf eines Lehrers, einer Erzieherin, eines Sozialpädagogen (männliche wie weibliche Kollegen), wenn er sich nicht dazu berufen fühlt? Gut bezahlter Halbtagsjob? Lange Sommerferien = Urlaub? Nicht nur, dass die Menschen, welche sich mit der Erziehung unserer Kinder befassen, oft mit völlig falschen Vorstellungen in ihren Beruf begeben.

Schlimmer noch! Sie verstecken sich hinter der großen Schülerzahl einer Klasse, können angeblich nicht auf den Einzelnen eingehen. Genau das erwarten aber die Eltern – nicht nur betroffener ADHS-Kinder, sondern aller Kinder. Und ich finde, das können sie auch erwarten. Die bestmögliche Förderung jedes einzelnen Kindes, damit es als Napfkuchen (eckig) oder Gugelhupf (rund) im Leben seinen Mann oder seine Frau stehen kann und nicht als unliebsam abgestempelt und schließlich abgeschoben wird.