Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern

Lesedauer 7 Minuten

NATO, EU und die Weltlage 2025: Warum die geopolitische Spannung die Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Europa verschärft – und was jetzt zu tun ist.

Europa steht 2025 unter Strom. An den Rändern des Kontinents wird Krieg geführt, globale Handelskonflikte verschieben Lieferketten, neue Technologien verändern in hoher Taktung Geschäftsmodelle – und mitten in dieser Verdichtung von Krisen müssen Unternehmen investieren, Personal halten und transformieren, während Beschäftigte um Kaufkraft, Arbeitsplatzsicherheit und Sinn im Wandel ringen. Dieser Leitartikel ordnet die geopolitische Lage rund um NATO, EU und internationale Konfliktlinien ein, verbindet sie mit der realen Lage am Arbeits- und Unternehmensstandort Europa und übersetzt beides in konkrete Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Einleitung: Eine Lage, die nach Klarheit verlangt

Die sicherheitspolitische Statik Europas hat sich seit 2022 grundlegend verschoben. Die NATO hat beim Washingtoner Gipfel eine deutliche Akzentuierung vorgenommen: Verteidigungsausgaben von mindestens 2 % der Wirtschaftsleistung gelten nun als Untergrenze, und mehr als zwei Drittel der Alliierten erreichen die Marke – ein historischer Vergleichswert, wenn man bedenkt, dass 2014 erst drei Verbündete die Schwelle rissen. (nato.int)

Gleichzeitig befindet sich die EU im schwierigen Spagat: Sie will mehr Souveränität und Krisenfestigkeit, schnelleres Beschaffungs- und Genehmigungsrecht, und sie baut die Verteidigungsindustrie mit Instrumenten wie ASAP (Act in Support of Ammunition Production) und EDIRPA hoch – als Antwort auf die Munitions- und Materialknappheit, die der Ukrainekrieg offengelegt hat. (Defence Industry and Space)

Ökonomisch wirken Nachbeben: Die Energiepreisschocks klingen ab, aber Volatilität bleibt. Gaspreise schwankten in den vergangenen Monaten spürbar und erreichten phasenweise Mehrjahreshochs, bevor sie zuletzt wieder einbüßten – ein Umfeld, das Planung erschwert und Hedging-Strategien wichtiger macht. (Financial Times)

Zur gleichen Zeit verschärfen neue und alte Konfliktlinien den Druck auf Geschäftsmodelle: „De-Risking statt Decoupling“ prägt das EU-China-Verhältnis; zugleich belasten Zölle und Gegenzölle den transatlantischen Handel und damit europäische Exportchancen. Die EU-Kommission selbst begründete jüngst gesenkte Wachstumsprognosen u. a. mit einem US-geführten Handelskonflikt.

Für Beschäftigte und Unternehmen ergibt sich daraus ein Ambivalenzmix: Arbeitsmärkte bleiben vergleichsweise robust, doch Reallöhne, Finanzierungskosten, Regulierungslasten und Unsicherheiten überlagern Investitions- und Konsumentscheidungen. Der Euroraum verzeichnete im September 2025 zwar eine niedrige Arbeitslosenquote von 6,3 % (EU: 6,0 %), dennoch bleibt „Lebenshaltungskosten“ das drängendste Thema der Bürgerinnen und Bürger.

Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern: Vor diesem Hintergrund beantwortet dieser Beitrag drei Fragen:

  1. Was sind die entscheidenden geopolitischen und makroökonomischen Treiber?
  2. Welche konkreten Ängste bewegen Arbeitnehmer und Arbeitgeber?
  3. Welche Schritte mindern Risiken, schaffen Handlungsfähigkeit und sichern Wettbewerbs- und Beschäftigungsfähigkeit?

1. Geopolitischer Rahmen: NATO-Rückgrat, EU-Handlungsfähigkeit, fragmentierte Globalisierung

1.1 NATO als Sicherheitsgarant – mit industrieller Dimension

Der historische Rückgang des „Friedensdividenden“-Denkens ist Fakt: Mehr als zwei Drittel der NATO-Staaten erfüllen das 2-%-Ziel, 2024 waren es 23 Alliierte – Tendenz steigend. Die Allianz sieht zudem das zehnte Jahr in Folge steigende Verteidigungsausgaben der europäischen Mitglieder und Kanadas. Das signalisiert: Verteidigung ist kein Randthema mehr, sondern Investitionsprogramm – mit Nachfrageimpulsen für europäische Industrie, aber auch mit Verdrängungseffekten in Staatshaushalten.

1.2 Die EU baut Kapazitäten auf – von Munition bis Genehmigungsrecht

ASAP und EDIRPA markieren eine neue EU-Normalität: Gemeinsam beschaffen, Kapazitäten aufbauen, Genehmigungen beschleunigen. Politisch reicht das Spektrum von kurzfristiger Munition bis zum langfristigen Aufbau einer dauerhaft leistungsfähigen Verteidigungsindustrie, flankiert vom Europäischen Verteidigungsfonds. Noch funktioniert nicht alles reibungslos – etwa bei Tempo und Skalierung –, aber die Richtung ist eindeutig.

1.3 Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern: Handelskonflikte und „De-Risking“

Die Formel „De-Risking, not Decoupling“ prägt die EU-China-Beziehung: Abhängigkeiten reduzieren, Technologien schützen, aber Märkte nicht kappen. Das ändert Lieferketten, Investitionsprüfungen und Exportkontrollen. Parallel belasten US-Zölle Teile des EU-Exports; die EU rechnet in ihren Prognosen mit dauerhaft niedrigeren Wachstumsimpulsen. Für exportorientierte Sektoren ist das mehr als Hintergrundrauschen.

1.4 Energie als Wettbewerbsfaktor

Europa ist beim Gas unabhängiger von Russland, aber nicht immun gegen Schocks. Kalte Wellen und globale LNG-Ströme treiben Volatilität; Unternehmen müssen sich auf Preissprünge einstellen. Strategisch rückt der Netzausbau ins Zentrum: Bis 2040 braucht die EU hunderte Milliarden Euro in Übertragungs- und Verteilnetze, um Elektrifizierung, Erneuerbare und Datenzentren zu stemmen.


2. Makroökonomie 2025: Stabiler Arbeitsmarkt, zögerliche Dynamik, vorsichtige Geldpolitik

Der europäische Arbeitsmarkt bleibt robust. Eurostat weist für den September 2025 eine Arbeitslosenquote von 6,3 % im Euroraum und 6,0 % in der EU aus – stabile Werte gegenüber den Vormonaten. Gleichzeitig bleibt die Teuerung auf dem Weg Richtung Ziel, weshalb die EZB die Zinsen zuletzt unverändert ließ und an einem vorsichtigen Kurs festhält. Die EU-Kommission erwartet eine weitere Entspannung der Inflation bis 2026, warnt aber vor einer hartnäckig verhaltenen Wachstumsperspektive.

Makro-Botschaft: Kein Krisenmodus mehr, aber auch kein Selbstläufer. Der Wachstumsanker Export schwächelt, Investitionen hinken, Produktivität bleibt die offene Flanke. Der IWF spricht in seinem Regionalausblick von „verlangsamtem Wachstum, anhaltenden Strukturproblemen und hohen Erwartungen an Reformen“ – ein nüchterner Weckruf.


3. Was Arbeitgeber wirklich umtreibt: Skills, Energie, Regulierung – und Unsicherheit

Mehrere europaweite Unternehmensbefragungen zeichnen ein konsistentes Bild:

  • Fachkräfteverfügbarkeit: Quer über Branchen berichten Firmen vom Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Der EIB-Investitionssurvey 2025 ordnet „Availability of skills“ als einen der Top-Investitionshemmnisse ein. Eurofound dokumentiert die Persistenz von Engpässen trotz leicht nachlassender Gesamtnachfrage und zeigt: Firmen rekrutieren zunehmend durch Abwerbung statt durch Aktivierung von Arbeitslosen.
  • Energiekosten und -volatilität: Energie bleibt strukturell teurer und volatiler als vor 2021; für viele Betriebe ist sie weiterhin ein Kernrisiko. EIB-Daten und Branchenreports bestätigen: Energiepreise sind ein überproportionaler Investitionshemmnis in der EU.
  • Regulatorische Komplexität: Unternehmen bewerten EU-Regulierung und Bürokratie als belastend – vom Beihilferecht über Genehmigungen bis zu Berichtspflichten. Das Eurochambres-Stimmungsbild 2025 verortet „Regulatory pressure“ neben Lohn- und Energiekosten als zentrale Sorge.
  • Finanzierung: Vor allem KMU berichten über erschwerte Kreditaufnahme, höhere Zinsen und die Tendenz zu kurzfristiger Finanzierung. Die OECD bestätigt ein restriktives Umfeld mit Rückgang bei Krediten und teils schwachem Leasing-/Factoring-Zugang.

Kurz: Die strategische Agenda der Arbeitgeber lautet 2025 „Investieren unter Bedingungen“. Transformationsdruck trifft auf Margendruck, Zeitdruck – und Kapazitätsengpässe im Netz, bei Planungsämtern und in Lieferketten.


4. Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern: Kaufkraft, Arbeitsplatzsicherheit, Weiterbildung, Wohnkosten

Auf Arbeitnehmerseite bündelt sich die Sorge im Dreiklang Kaufkraft – Sicherheit – Perspektive:

  • Lebenshaltungskosten bleiben im EU-Meinungsbild Thema Nummer eins – auch wenn die Inflation sinkt. Das schlägt durch auf Lohnforderungen, Fluktuationsneigung und die Attraktivität stabiler Arbeitsplätze.
  • Arbeitsplatzsicherheit ist ambivalent: Niedrige Arbeitslosenquoten stützen das Sicherheitsgefühl, aber Branchenumbrüche (Automotive, Chemie, Energieintensives, Medien/Tech) nähren Angst vor Verlagerungen und Effizienzprogrammen. Die Export- und Zollrisiken vermehren sich, und geopolitisch bedingte Nachfragedellen landen in Personalplanungen. (Reuters)
  • Kompetenzdruck durch Technologie: Der EU-AI-Act ist in Kraft, Anforderungen werden phasenweise wirksam. Beschäftigte fragen sich: „Bin ich fit für KI-gestützte Prozesse?“, „Wie verändert Automatisierung mein Profil?“ Unternehmen, die keine Qualifizierung anbieten, riskieren Widerstand und Produktivitätsverluste.
  • Wohnen und Familienplanung: Eurofound skizziert weiterhin eine angespannte Wohnsituation, die Lebensentscheidungen verzögert. Das drückt auf Mobilität und Matching am Arbeitsmarkt – ein unterschätzter Standortfaktor.

Die psychologische Dimension ist nicht zu unterschätzen: Wenn „große Politik“ und private Kostenlage gleichzeitig drücken, steigt der Wunsch nach Stabilität. Arbeitgeber, die planbar bezahlen, transparent kommunizieren und sichtbar in Menschen investieren, bauen Vertrauen auf – ein harter Wettbewerbsfaktor im Fachkräftemarkt.


5. Szenariofenster 2025–2027: Was wahrscheinlich passiert – und worauf man sich vorbereiten sollte

Szenario A – Geordnete Anpassung (Wahrscheinlichkeit: mittel)
Inflation bewegt sich dauerhaft nahe 2 %, EZB lockert weiter vorsichtig, Energiepreise bleiben volatil, aber beherrschbar. Handelskonflikte bleiben, eskalieren jedoch nicht. Die EU beschleunigt Netzausbau und Genehmigungen. Ergebnis: moderates Wachstum, Investitionen steigen ab 2026 wieder spürbar; Fachkräftemangel bleibt Engpass.

Szenario B – Fragmentierungsschub (Wahrscheinlichkeit: nennenswert)
Zölle weiten sich aus, Gegenzölle folgen; Exportmärkte schwächeln. Energieknappheit in Einzelwintern verursacht Preisspitzen. Unternehmensinvestitionen verschieben sich; Arbeitsmärkte kühlen, ohne in eine Massenarbeitslosigkeit zu kippen. Ergebnis: mehr Kostendruck, höhere Unsicherheit, selektive Standortverlagerungen.

Szenario C – Sicherheitsbedingter Investitionsboom (Wahrscheinlichkeit: nennenswert, sektoral)
NATO-Verteidigungsziele treiben Nachfrage; EU-Programme für Verteidigung, Netze, Digitalisierung und Resilienz entfalten Breitenwirkung. Industriekapazitäten für Rüstung, Dual-Use-Technologien und Netzausbau wachsen. Ergebnis: starke Nachfrage nach MINT-Profilen, Fertigung, Logistik; Engpässe bei Ausrüstung, Zulieferern, Fachkräften.


6. Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber: Von „Krisenmodus“ zu „Gestaltungsmodus“

1) Lohnpolitik und Kaufkraft ernst nehmen
Inflationsabflachung ist kein Argument gegen Reallohnausgleich. Modellieren Sie Gehaltsbänder mit variablen Komponenten, die an Produktivität, Ergebnis und Teuerung koppeln. Transparenz in der Vergütung reduziert Wechselrisiken.

2) Skills als Kapital denken
Bauen Sie ein Skills-Inventory: Welche Kompetenzen sind heute vorhanden, welche fehlen in 12–24 Monaten? Verknüpfen Sie Stellen mit Kompetenzen, nicht nur mit Jobtiteln. Verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf den Markt – der Fachkräftemangel ist europäisch breit dokumentiert. (eib.org)

3) Energie-Resilienz professionalisieren
Hedging-Policies und Effizienzprogramme sind Chefsache. Planen Sie für Volatilität statt gegen sie; Netzinvestitionsstaus und Winterrisiken bleiben Realität. Prüfen Sie Lastmanagement, Eigen-PV, Wärmepumpen in Industrieanwendungen, Power-Purchase-Agreements (PPAs) und Flexibilitäten.

4) Lieferketten „de-risken“
Diversifizieren Sie Single-Source-Abhängigkeiten, etablieren Sie „China-plus-one“-Optionen, prüfen Sie Exportkontroll- und Sanktionsrisiken. De-Risking ist offizielle EU-Linie – richten Sie Governance, Vertragsklauseln und Monitoring darauf aus.

5) EZB-Zinsfenster nutzen
Wenn die Zinsen Seitwärtsluft lassen, priorisieren Sie Projekte mit kurzer Payback-Zeit: Effizienz, Automatisierung, Datenqualität. So senken Sie Kapitalkostenrisiken und steigern Ertragskraft vor einem nächsten Zinsregimewechsel.

6) KI rechts- und wertschöpfungssicher einführen
Der AI-Act ist in Kraft; Anforderungen greifen gestaffelt. Nutzen Sie 2025 für Inventur, Risikoklassen-Zuordnung, Daten- und Modell-Governance, Dokumentation und Mitarbeiterqualifizierung. Wer jetzt sauber aufsetzt, vermeidet spätere Retrofit-Kosten.

7) Bürokratiekosten senken – intern wie extern
Das Eurochambres-Bild zeigt, wie sehr Unternehmen an regulatorischer Komplexität leiden. Antworten: Standardprozesse, Automatisierung von Berichtspflichten, Templates, zentrale Datenhaushalte. Politisch: Verbandsarbeit für schlankere Regeln und schnellere Genehmigungen.

8) Mitarbeiterbindung als Wettbewerbsstrategie
Hybride Arbeit, verlässliche Dienstpläne, Weiterbildung mit Zertifikaten, Karrierepfade und Gesundheitsangebote wirken. Eurofound zeigt, wie sehr Vertrauen und finanzielle Sicherheit mit Lebensqualität und Produktivität korrelieren.

9) Szenariopläne in die Budgetlogik integrieren
Hinterlegen Sie Budgetzahlen mit A/B/C-Szenarien und definierten Triggern (z. B. Gaspreisbandbreiten, Zollsätze, Auftragslage). So werden Investitionsstopps und Ad-hoc-Sparrunden zur Ausnahme.

10) Europa-Programme aktiv anzapfen
Von IPCEIs über Netzförderung bis Verteidigungsfonds: Die Förderlandschaft ist dicht. Ordnen Sie Projekte in passende Töpfe – und planen Sie die Antragstellung wie ein Sales-Projekt.


7. Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer: Sicherheit aus Kompetenz und Strategie

1) Kaufkraft schützen
Verhandeln Sie strukturiert: Basis-Anpassung plus variable Komponenten, die an Zielerreichung und Teuerung gebunden sind. Nutzen Sie interne Benchmarks und externe Marktwerte, ohne die Beziehungsebene zu beschädigen.

2) Skills-Portfolio aktiv managen
Bauen Sie ein persönliches Kompetenzprofil entlang dreier Linien auf:

  • Digitalkern: Datenkompetenz, KI-gestützte Werkzeuge, Automatisierung.
  • Domänen-Tiefe: Branchenwissen, Normen, Prozesse.
  • Transfer-Skills: Kommunikation, Problemlösung, Zusammenarbeit.
    Orientieren Sie sich an sichtbar wachsenden Feldern: Energie- und Netzinfrastruktur, Sicherheits- und Resilienztechnologien, industrielle Digitalisierung.

3) Zertifikate und Nachweise sammeln
Der Arbeitsmarkt honoriert nachprüfbare Kompetenz. Planen Sie 2–3 anerkannte Zertifikate in 12–18 Monaten – abgestimmt mit Arbeitgeberbedarfen.

4) Mobilität und Netzwerke pflegen
Kurzfristige Pendelbereitschaft oder Umzug können das Matching verbessern – trotz angespannter Wohnungsmärkte. Prüfen Sie Arbeitgeberunterstützung, Remote-Optionen und Relocation-Pakete.

5) Finanzielle Resilienz aufbauen
Polster für 3–6 Monatsausgaben, Versicherungen und eine klare Schuldenstrategie vermindern Entscheidungspanik bei Branchenumbrüchen.

6) KI und Recht verstehen
Machen Sie sich mit dem AI-Act und den internen Richtlinien vertraut. Wer die Compliance-Sprache spricht, ist bei Einführungsvorhaben wertvoll.

7) Gesundheit priorisieren
Dauerstress macht unproduktiv. Nutzen Sie betriebliche Angebote, verhandeln Sie umsetzbare Ziele, setzen Sie Grenzen.


8. Branchenfokus – Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern: Wo die Risiken und Chancen konkret liegen

  • Automotive & Zulieferer: Zwischen Elektrifizierung, Software-Shift, globalen Preiskonflikten und Importdruck aus China werden Kosten, Qualität und lokale Wertschöpfung zum Dreiklang. Lieferanten brauchen „Dual-Sourcing-Plus“ und Software-Kompetenz.
  • Chemie & Grundstoffindustrie: Energiekosten und Regulierungslasten definieren die Profitabilitätszone. Energieflexibilität, Abwärmenutzung, PPAs und Prozessdigitalisierung erhöhen die Chance, in Europa profitabel zu bleiben.
  • Maschinenbau & Industriegüter: Exportabhängigkeit macht Zölle und Nachfragezyklen gefährlich. Service-Geschäfte, Retrofit-Automatisierung, Daten-Mehrwertleistungen stabilisieren.
  • Energie & Netze: Der Investitionshunger bis 2040 ist enorm. Engineering, Bau, Komponentenhersteller und digitale Netzleittechnik erleben einen Nachfrageschub, aber der Flaschenhals sind Genehmigungen und Lieferketten für Hochspannungstechnik.
  • Verteidigungsnahe Branchen: Von Elektronik über Werkstoffe bis Software entstehen Dual-Use-Chancen. Compliance und Exportkontrolle sind Pflichtprogramm.
  • Digital-/KI-Anbieter: Der AI-Act schafft Markteintrittshürden – aber auch Vertrauensvorsprünge für konforme Lösungen. Dokumentation, Datenqualität, Human-in-the-Loop werden Verkaufsargumente.

9. Ängste von Arbeitnehmern und Arbeitgebern: 30-60-90-Tage-Pläne – sofort umsetzbar

Für Arbeitgeber

Tag 0–30

  • Skills-Inventory starten, kritische Rollen und Kompetenzlücken kartieren.
  • Energie-Exposure messen, Hedging-Policy aktualisieren, Effizienz-Quickwins priorisieren.
  • KI-Use-Cases erfassen, Risiko-Klassifizierung gemäß AI-Act beginnen. (European Commission)
  • Szenarioparameter definieren (Energie-Bandbreiten, Zölle, Auftragseingang).

Tag 31–60

  • Gehaltsbänder prüfen, variable Komponenten nachschärfen, Transparenzpaket schnüren.
  • Lieferketten-De-Risking: Top-10-Abhängigkeiten adressieren, Alternativen bewerten.
  • Förder-Screening aufsetzen: EDF/ASAP/Netz-Programme, Klima- und Digital-Töpfe. (Defence Industry and Space)

Tag 61–90

  • Lernpfade und Zertifikatsprogramme pilotieren; interne Job-Wechselpfade öffnen.
  • Bürokratiekosten messen (Zeit/Budget), interne Standardisierung automatisieren.
  • Stakeholder-Karte für Politik/Verbände aktualisieren, Prioritäten platzieren (Genehmigungsbeschleunigung, Netzausbau).

Für Arbeitnehmer

Tag 0–30

  • Eigenes Kompetenzprofil erstellen, Lücken identifizieren, Lernziele definieren.
  • Haushaltsplan und Puffer prüfen, Versicherungen aktualisieren.
  • Interne Gespräche über Karrierepfade und Weiterbildung führen.

Tag 31–60

  • Erste Zertifikate/Module buchen (Datenkompetenz, Prozessautomatisierung, branchenspezifische Normen).
  • Lebenslauf/Profil aktualisieren, Projekte quantifizieren, Referenzen systematisieren.
  • Wohn- und Pendeloptionen sondieren, Mobilitätsspielräume klären.

Tag 61–90

  • Sichtbarkeit erhöhen: interne Brown-Bag-Talks, Fachaustausch, Communities.
  • Nebenprojekte zur Anwendung neuer Tools starten (mit Datenschutz-Konformität).
  • Verhandlungsfahrplan für Gehalts-/Rollenupdate ausarbeiten.

10. Gemeinsame Agenda: Psychologische Sicherheit und Orientierung stiften

In einer Lage, in der Außenpolitik, Energie und Technologie gleichzeitig umgebaut werden, entsteht leicht der Eindruck permanenter Überforderung. Die Gegenmittel sind überschaubar, aber mächtig: Transparenz, Verlässlichkeit, Investition in Menschen und Systeme. Arbeitgeber gewinnen, wenn sie planbar sind, Weiterbildung ernst nehmen und Regulierung als Designproblem lösen. Beschäftigte gewinnen, wenn sie aktiv Kompetenz aufbauen, verhandeln und sich vernetzen. Politik gewinnt, wenn sie Netze baut, Genehmigungen beschleunigt und Planungssicherheit liefert.


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