Historisch gesehen ist die Geschichte der Epilepsie ist vor allem geprägt durch den ständigen Wechsel der „Grundeinstellung“ der Menschen zu den Erkrankten.
Je nach aktuellem Erklärungsversuch der Zeitgenossen wurden Epileptiker verehrt (als den Göttern besonders nahe stehend) oder naturwissenschaftlich orientiert einfach als krank angesehen und mehr oder weniger sinnlosen Therapieversuchen ausgesetzt. Oftmals wurden sie aber auch als Verdammte und Besessene gesehen, ausgeschlossen und sogar strafrechtlich verfolgt.
Einer der ältesten Hinweise auf diese Erkrankung liefert der Papyrus Ebers aus der 17. Dynastie des alten Ägypten (ca. 1650 v. Chr.). Einerseits werden die Symptome sehr genau geschildert, andererseits wirken sämtliche folgende Therapievorschläge eher skurril als zielführend. So wird z.B. den Hoden und Exkrementen von Eseln sowie Ziegenblut heilende Wirkung zugeschrieben.
Die Krankheit selbst wird „nesejet“ genannt. Da das einleitende Schriftzeichen die „Kobraschlange“ ist, kann man sie als den „Ausspruch eines Gottes“ und somit als heilig deuten. Der Umgang der altägyptischen Gesellschaft mit Epileptikern ist nicht überliefert.
Im altbabylonischen Codex Hammurabi (17. Jhdt. v. Chr.) ist von einer „bennu“- Krankheit die Rede, welche als „Neigung zum Fallen“ übersetzt werden kann. Allerdings handelt es sich nicht um ein, auch nur im weitesten Sinne medizinisches Werk, sondern um eine Art von historisch belegtem „Konsumentenschutz“. Der Text selbst befasst sich nämlich mit dem „Rückgaberecht“ nach dem Kauf eines Sklaven, bei dem nach weniger als einem Monat dieses Leiden auftritt.
Ebenfalls aus Mesopotamien stammt eine Serie von 40 Tontafeln aus der Zeit um 1050 v. Chr.
Dabei handelt es sich um ein medizinisches Lehrbuch, in dem sich ein ganzes Kapitel mit „antasubbu“ befasst. Es wird eine breite Palette sehr gut beschriebener Phänomene aufgelistet, welche wesentliche Merkmale des epileptischen Geschehens schildern. Dennoch war für die Autoren klar, dass dafür nur Geister und Dämonen verantwortlich sein können. Die Namen dieser Dämonen wurden auch synonym für die verursachte Erkrankung verwendet: „bennu“, „miqtu“.
Krankheiten sah man zu dieser Epoche generell als Strafe der Götter für menschliches Fehlverhalten. Die daraus logisch gefolgerten Therapieformen waren also Gebete und Opfer an die Götter sowie Magie. Letztere erfuhr zunehmend eine „Spezialisierung“ durch Priesterärzte und Exorzisten, welche schließlich eine Vielzahl tierischer Therapeutika, wie Eingeweide und Exkremente, aber auch Phytotherapeutika mit zweifelhafter Wirkung in Verwendung hatten.
Bei den Griechen galt Epilepsie als „heilige Krankheit“, als „Besessensein von der göttlichen Macht“. Je nach Art des Anfalls wurden verschiedene Götter damit in Verbindung gebracht (Kybele, Poseidon, Apollon, Ares). Der Erkrankte war also wieder ein Fall für den Priester.
Erst im 7. vorchristlichen Jahrhundert entstand in Kleinasien in der Stadt Knidos eine medizinische Schule, die natürliche Ursachen für alle Erkrankungen verantwortlich machte.
Berühmtester Vertreter dieses neuen Denkansatzes war der in der griechischen Geschichte so oft genannte „Vater der Medizin“, der Arzt Hippokrates (etwa 460- 377 v. Chr.)
Dieser betonte, dass auch diese Krankheit eine natürliche Ursache haben muss: kalter Schleim fließt in das warme Blut, daraufhin kühlt das Blut ab und kommt zum Stehen.
Die Behandlung erfolgte durch Diätetik, Heilmittel, Schröpfen, Purgieren, von wagemutigen Ärzten wurden auch Trepanationen durchgeführt.
Zwischen 430 und 410 v. Chr. entstand auch das erste Epilepsie-Lehrbuch mit dem Titel „Über die Heilige Krankheit“. Über den Autor ist nichts bekannt. Vom Inhalt her kann man aber sicher sagen, dass er einen „Hippokratiker“, also einen Repräsentanten hippokratischer Lehren darstellte, welcher wiederholt klarstellt, dass die Epilepsie keine Erkrankung göttlichen Ursprungs ist. Es wurde empfohlen, besser den Erkrankten zu behandeln, als die Erkrankung. Festgelegte Behandlungsschemata gab es in diesem Werk keine. Die vorgeschlagenen und sehr individuellen Therapieempfehlungen beinhalten Ernährungsvorschriften, Regulierung der Ausscheidungen und Heilgymnastik unter Berücksichtigung des Schlaf/Wachrhythmus, der Nahrungsmenge und -zusammensetzung, der körperlichen Ausscheidungen, der sexuellen Aktivität und der geistigen so wie körperlichen Betätigung.
Als Alexandria im dritten vorchristlichen Jahrhundert zum „Nabel der Welt“ wurde, entstanden in der Nil-Metropole drei medizinische Schulen, die des Erasistratos, die des Herophilos und die der Empiriker, welche sich ausschließlich auf Beobachtung und das Prinzip der Analogie beriefen. Bis auf die Schule des Herophilos, von der keinerlei Überlieferungen in Zusammenhang mit Epilepsie vorliegen, empfehlen die dort praktizierenden Ärzte unter anderem Chamäleonhirn, Hasenhirn und Schildkrötenblut. Erasistratos sah unter anderem auch im „Castoreum“, den harzigen Absonderungen der Vorhautdrüsen des Bibers, ein vorzügliches Antikonvulsivum, welches noch bis ins 19.Jahrhundert in der europäischen Volksmedizin Verwendung fand.
Im alten Rom wurde die griechische Bezeichnung der heiligen Krankheit einfach ins Lateinische übersetzt, sie hieß demnach „morbus sacer“, wobei diese Namensgebung zwei sehr verschiedene Gesichtspunkte hat.
„Sacer“ bedeutet nicht nur „heilig“ und „einem Gott gewidmet“ sondern auch „einer unterirdischen Gottheit zur Vernichtung geweiht“ im Sinne von verflucht, verwünscht. Diese Ambivalenz versinnbildlicht die Einstellung der Gesellschaft gegenüber dieser Erkrankung bis in die heutige Zeit.
Während der Kaiserzeit war bereits das Phänomen der Provokation durch „Flackerlicht“ bekannt. Angehende Soldaten mussten bei der Musterung durch ein rotierendes Wagenrad in eine Lichtquelle schauen. Anfallsfreiheit war eine Voraussetzung für den Militärdienst.
Aulus Cornelius Celsus (14- 37 n. Chr.) nennt die Epilepsie in seinem Werk „De medicina“ einfach „morbus maior“ (die größere Erkrankung) oder „morbus comitialis“ (die Volksversammlungs-Krankheit). Bezüglich der „Volksversammlungs-Krankheit“ ist anzumerken, dass, wenn während einer Volksversammlung (comitien) jemand einen epileptischen Anfall erlitt, die Versammlung sofort abzubrechen und das jeweilige Thema zu einem anderen Zeitpunkt neu zu verhandeln war. Ansonsten, so der Volksglaube, hätte es Unglück gebracht.
Der in Rom praktizierende griechische Arzt Galen (ca. 129–200 n. Chr.) beschrieb erstmals die Aura als Anzeichen für einen beginnenden Anfall.
Im Mittelalter geriet die damalige Sichtweise der Antike und Spätantike wieder in Vergessenheit. Göttliche Strafe oder dämonische Besessenheit waren wieder die Erklärung und Exorzismus als Therapie die leider nur allzu logische Konsequenz.
Man betete inbrünstig zu den „Fallsucht- Patronen“ (die Heiligen Johannes, Christophorus, Walburga, Cornelius, Ägidius, Veit, Valentin, usw.) und lediglich gegen die Pest gab es mehr heilige Fürsprecher als gegen die Epilepsie.
Weiters wurde die Epilepsie häufig auch als „Gicht, Gegicht oder Gichter“ bezeichnet, welche sich aus dem althochdeutschen Begriff „gihido“ und dem mittelhochdeutschen „giht“ ableiten und etwa die Bedeutung von „Besprechung“ oder „Verzauberung“ hatte. Dem zufolge handelte es sich um ein angehextes, angesprochenes oder angezaubertes Leiden.
Aus dem gotischen Wort „ fraisan“ – Gefahr bringen – entwickelte sich im Althochdeutschen „freisa“ und aus diesem der heute noch verwendete Begriff der „fraisen“ – also frühkindliche Epilepsie.
Als im 13. Jahrhundert die Lepra aus Europa verschwand, wurden die ehemaligen Leprosorien (=“Sondersiechenhäuser“) sehr schnell wieder „aufgefüllt“ – sie wurden zu Tollhäusern umfunktioniert, wo neben psychisch auffälligen „Irren“ auch die „Fallsüchtigen und Besessenen“ nun ihr Leben außerhalb des Schutzes der Stadtmauern bestritten – Sinnbild für den Ausschluss aus der Gesellschaft.
Im Rahmen der Hexenverfolgung im Europa der frühen Neuzeit wurden auch häufig Epileptiker angeklagt, als vermeintliche Opfer der der Hexerei Beschuldigten. Da in dieser Epoche immer im Zweifel gegen den Angeklagten entschieden wurde, landeten schließlich gleich beide auf dem Scheiterhaufen, da die „angehexte“ Fallsucht ja eine Form der Besessenheit darstellte.
Paracelsus (1493-1541) betonte allerdings, dass keine unnatürliche, mystische Ursache vorliege, und verwies darauf, dass auch Tiere an Epilepsie erkranken können. Es sei zwar nicht immer möglich, die Ursache zu heilen, doch könne man die Symptome lindern. Er vermutete den Sitz der Erkrankung in der Leber, im Herzen, in den Eingeweiden oder in den Gliedmaßen. Entsprechend seiner Überzeugung der Übereinstimmung von Makro- und Mikrokosmos nahm er an, dass auch Erdbeben epileptischen Ursprungs sind.
Im 17. und 18. Jahrhundert erhielt Epilepsie allmählich wieder ihren Stellenwert als Krankheit und in Wien wurde beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses Medizingeschichte geschrieben: für psychisch Kranke und Fallsüchtige wurde eine eigene Abteilung geschaffen, der „Narrenturm“.
Samuel Auguste Tissot, der „gute Gott von Lausanne“, welcher als Stadtarzt der Armen in der Schweiz arbeitete, befasste sich intensiv mit der Epilepsie, und setzte sich in zahlreichen Publikationen sehr dafür ein, die Fallsucht als natürlich verursachte Erkrankung zu sehen.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es wissenschaftlich zu beweisen, dass Epilepsie einen natürlichen Ursprung hat. John Hughlings Jackson (1835–1911) veröffentlichte exakte Beschreibungen von Anfällen, 1870 konnten Gustav Theodor Fritsch (1838- 1927) und Eduard Hitzig (1838- 1907) tierexperimentell nachweisen, dass sich durch elektrische Reizung bestimmter Großhirnbereiche motorische Reize auslösen lassen und bei länger dauernden Reizungen schließlich Krampfanfälle auftraten.
1912 wurden Phenobarbital und 1938 Phenytoin entdeckt, die ersten wirklichen Antikonvulsiva.
Zu diesem Zeitpunkt hätte die Behandlung von Epilepsie sicherlich wesentlich größere Fortschritte gemacht, hätte nicht der Nationalsozialismus das gesellschaftliche Leben in Mitteleuropa dermaßen geprägt.
Leider aber sah die Ideologie des dritten Reichs die Epilepsie-Kranken auch als „unwertes Leben“, welche in diesem Sinne auszumerzen seien. Obgleich mit Phenobarbital und Phenytoin nun gleich zwei effiziente Therapeutika zur Verfügung standen, wurden tausende Menschen als „eugenische Maßnahme“ in den Vernichtungslagern grausam umgebracht.
In den 1950er Jahren wurden von Leo Sternbach (1908-2005) die Benzodiazepine entwickelt, die seit den 1960er Jahren die antikonvulsive Therapie bereichern.
Im gleichen Zeitraum wurde auch die antiepileptische Wirksamkeit der Valproinsäure entdeckt, die bis heute als ein Mittel der ersten Wahl gilt.