Der Orden der Illuminaten
Praktische Chaosmagie
Der Name „IOT“ bedeutet „Illuminates of Thanateros“,
wobei
„Thanateros“ eine Zusammenziehung der beiden griechischen Mythengestalten
„Thanatos“ (=Tod) und „Eros“ ( = Liebe!?) ist.
Damit soll wieder einmal ein unvereinbarer Gegensatz doch noch vereint werden. Mittlerweile ist er auch unter dem Kurznamen „Der Pakt“ bekannt. Schließlich schließt jeder einen Pakt mich sich selbst ab, wenn er darangeht, die Techniken und die Philosophie der Magie ernsthaft zu praktizieren. Der IOT wurde Anfang der siebziger Jahre in England gegründet, von einigen führenden Köpfen der Chaosmagie zu einer Zeit, als es die Chaosmagie, noch gar nicht so richtig gab…
Seit 1986 gibt es ihn auch im deutschsprachigen Raum, nachdem die Veröffentlichung des Einweihungsbuches „Liber Null“ und des Nachfolgebandes „Psychonautik“ in der deutschsprachigen Szene doch einiges Aufsehen erregt hatte. Mittlerweile gibt es den IOT auch schon in Übersee, ja sogar bei unseren Antipoden. Dabei kann man ihn ideologisch gar nicht so richtig zu fassen kriegen: eine richtige Ideologie kann ein Chaosmagier von vornherein nicht gut sein eigen nennen, vor allem nicht auf Dauer – für kurze Zeit kann man sich ja ruhig eine Ideologie mieten. Das ist eine gute Übung (wir nennen das Paradigmenwechsel), mehr nicht. Manche sehen gewisse Unterschiede zwischen dem IOT und allgemeinen Trends der Chaosmagie, doch da das Chaos definitionsgemäß nicht zu definieren ist, so tut man sich auch bei dessen praktizierenden Anhängern schwer. Jedenfalls versucht der IOT, jenen Jüngern der Chaosmagie, die das wünschen, durch einen Hauch von Struktur und Organisation eine aufbauende Zusammenarbeit über längere Zeit hinweg zu ermöglichen. Es gibt da aber sicher auch noch andere Gruppen sowie die Möglichkeit, die Chaosmagie alleine zu betreiben. „Chaosmagie“ ist eher der Oberbegriff, so wie der Begriff „Kabbalah“ ja auch eine Vielzahl von Orden, Gruppen und mehr oder weniger praktizierenden Einzelnen mit einschließt. Obwohl Chaos von vielen als eine Art Unordnung gesehen wird (Zitat aus A.Savage’s Buch „Chaos Magick„: Chaos is absence of form and order), beschreiben es die Schriften des IOT eher als eine Art schwangere Leere (Chaos contains all possibilities of all form and order). An anderer Stelle: „Chaos is order beyond understanding-“ also eine Ordnung jenseits unseres Begreifens. In diesem Sinne wird Chaos dann begriffsverwandt mit dem chinesischen Tao („Das Tao, das beschrieben werden kann, ist nicht das Tao“) oder dem germanischen Wyrd: die Welt der Zusammenhängejenseits des Begreifens. Da nun das Chaos alle Dinge und Möglichkeiten enthält, kann es auch alles hervorbringen, indem es aus der Leere, dem Nichts (symbolisiert durch die Null), ein etwas und zugleich sein Gegenteil hervorbringt (symbolisiert durch zwei): etwa in der Art, wie beim Ausgraben eines Steines aus dem Boden einerseits der Stein und andererseits sein negativer Abdruck als Hohlraum im Boden entsteht. Paradox mathematisch ausgedrückt: 0 = 2 Man kann diese Polarität Chaos – Ordnung überall sehen und sie für die magische Arbeit nützen: ist Chaos das Ganze, das Alles-in-allem, so ist Ordnung der Ausschnitt, der Raster, den man sich (subjektiv) über die Welt legt, damit man sich wenigstens in einem Teilbereich auskennt. (So ein ähnliches Hilfsmittel wie ein Stadtplan.) Denn naturgemäß kennzeichnet unser Streben die Flucht vor dem Irrtum.
Was die praktische Arbeit und das Programm des IOT betrifft, das er seinen Leuten zur Bearbeitung empfiehlt, so spannt es sich von einfachen Praktiken, wie etwa der Sigillenmagie des Austin Osman Spare, das Erlangen von veränderten Bewußtseinszuständen („Gnosis“ genannt) durch Atemtechnik, Rituale, Tanz, Lichtblitze etc. bis hin zur tiefgreifenden, selbstgewollten und -gewählten Persönlichkeitsarbeit als Grundlage eines magischen Lebensstils. Spontaneität ist im IOT sehr gefragt. Das beginnt damit, daß sich Kandidaten ein Ritual für ihre Aufnahme durchaus selber schreiben können (es gibt nur ansatzweise festgesetzte, vor allem aber keine dogmatischen Texte), daß immer wieder ermuntert wird, das Gelernte doch zur Bewältigung seiner alltäglichen Lebensfragen anzuwenden statt sich in hehrer Reinheit meditierend in die Einsamkeit zurückziehen zu müssen, und reicht bis zur Integration unserer alltäglichen technischen Hilfsmittel in das magische Weltbild. Man verwendet in manchen Übungen auch durchaus solche Elektrogeräte wie Stroboskop oder Ohmmeter und bekommt bei den Treffen auch schon einmal die eine oder andere Beziehung zwischen Chaosmagie und Physik zu hören oder versucht, die Wirksamkeit magischer Methoden in Gleichungen zu fassen.
Dabei bedient man sich aber eher der Methoden der modernen Technik, als dass man – wie manchmal anderswo leider noch üblich – krampfhaft versucht, die Existenzberechtigung der Magie oder Esoterik mit „wissenschaftlichen Labormethoden nachzuweisen“. Es existiert eine Gradstruktur, die im „Liber Pactionis“ beschrieben wird, und einige Standardrituale und Exerzitien, die sich »schamlos« solcher Namen wie „Messe des Chaos“ oder „Mönch/Nonne des Chaos“ bedienen. Solcherart bestehen wohl schriftlich fixierte Unterlagen, die jedoch alle als bloße Empfehlung aufzufassen sind – mit Ausnahme eines einzigen Satzes:
„Die stärkste Forderung, die ein Mitglied an ein anderes stellen kann, ist die Bitte.“